Hilfe, ich soll dirigieren I 2013

Hilfe... ich soll dirigieren!

Besser könnte man die Situation der Lernwilligen, die sich vom 4.-7. Juli 2013 in Ilbenstadt versammelt hatten, nicht beschreiben. Bei meiner Chorfreundin und mir ist der „soll“-Teil des Kurstitels zwar mehr ein „na ja, falls es irgendwann mal nötig sein sollte“, aber dennoch erscheint uns der im Kurstitel enthaltene Hilfeschrei mehr als angemessen. Wie kommt man als Chorsänger auch auf die verrückte Idee, Dirigieren lernen zu wollen? Aber egal, wer in diesem Kurs das Dirigieren lernen will: Unsere Kursleiter, Gerhart Roth und Christoph Utz, wissen mit unseren mal stummen, mal lauten Hilfeschreien nur allzu gut umzugehen.

Nach einer kurzen Kennenlern-Gesprächsrunde im Klostergarten stehen wir am Donnerstagabend vor der ersten großen Hürde: Jeder soll ein eigenes Stück vorstellen – heißt das: „vordirigieren“? Wie soll das bloß gehen!? Ich habe keinen blassen Schimmer... und merke, dass ich mir mangels einer Vorstellung, worauf ich mich da eingelassen habe, völlig falsche Stücke herausgesucht habe. Zum Glück gibt es einige Teilnehmer, die mehr Erfahrung haben, da kann man sich das Ganze ansehen und sich eventuell noch für ein anderes Stück entscheiden. Wenn man sich noch nicht so recht traut, passiert auch nicht viel. Im Laufe des Abends lernen wir jedes der vorgestellten Lieder mit den zugehörigen Bewegungen, und langsam verliert sich die gegenseitige Scheu. Nach der Probe sitzen wir bei kalten Getränken und Knabberzeug gemütlich zusammen.

Am Freitagmorgen nach dem Frühstück geht es dann richtig los. Zunächst lernen wir einige Einsinge- und Tonübungen kennen; auch ein Namenlernspiel ist dabei – danach kennen wir uns alle mit Vornamen und einem selbstgewählten tierischen Nachnamen. Jeder hat einen Notenständer mitgebracht; fast alle außer mir können ihn immerhin aufstellen, ohne sich die Finger zu klemmen. Wir stehen im Kreis und versuchen, einen Vierertakt zu schlagen: Runter-zur Mitte-raus-hoch, zwar schwungvoll, aber mit geraden Handgelenken und ohne Schulterwackeln oder Ellbogenschwabbeln. Nachdem uns die Bewegung als „Trockenübung“ einigermaßen klar ist, nehmen wir uns ein Lied vor. Gerhart zeigt uns die Bewegungen und Christoph begleitet uns am Klavier, dadurch können wir uns erst einmal auf’s Dirigieren konzentrieren. Langsam tasten wir uns im Schwierigkeitsgrad weiter vor, zu mehrstimmigen Liedern mit zunächst zwei, später drei Einsätzen. Wir lernen, wie man ein Lied für das Dirigat markiert und wie man sich aus den Textanfängen der Einsätze eine „Dirigierstimme“ bastelt.
Nach der Mittagspause wird das Gelernte in Gruppenarbeit vertieft: in der „Blutige Anfänger“-Gruppe wird das Taktschlagen wiederholt und zur Not (die durchaus besteht...) auch ganz langsam geübt, während die „Fortgeschrittene Anfänger“-Gruppe wunschgemäß das eine oder andere neue Lied einübt. Zusammen lernen wir später noch den Zweiertakt, und immer wieder bekommt man die Gelegenheit, sich vorne hinzustellen und selbst zu dirigieren. Letzten Endes schafft es jeder einmal, sich das zu trauen. In der Abendprobe lernen wir einige Tanzlieder, bevor wir den Abend singend und mit Gitarrenbegleitung am Lagerfeuer ausklingen lassen.

Beim Aufwachen am nächsten Morgen kommt meiner Chorfreundin und mir als erstes ein Lied im 7/8-Takt in den Kopf, das unser Chor gerade einübt... oh je, bis wir so was dirigieren können, ist es noch weit. Voller eifriger Vorfreude finden wir uns nach den gemeinsamen Einsinge-Übungen mit Gerhart im Probenraum ein, um bei Sprech-, Sing- und Klatschspielen im Sitzen und beim Tanzen mit Christoph zu lernen, dass es so etwas wie die „Unabhängigkeit der Hände“ tatsächlich gibt... und nach dem langen Abend wachen wir dabei auch wieder auf! Das ist gut so, denn dann kommt der Dreiertakt, und alles, was wir gestern beim Vierertakt schon konnten, scheint uns heute beim Dreiertakt mit seinem Runter-raus-hoch erst einmal wieder verlorengegangen zu sein. Aber das gibt sich bald.
Am Nachmittag wird das Gelernte in Gruppenarbeit vertieft: Wie gibt man deutliche Einsätze und Abschläge, und wie zeigt man einer Stimme, dass sie den Ton halten soll? Wie schon gestern kann es mir beim Zeigen der Bewegungen nicht langsam genug gehen. Gerhart wiederholt die Bewegungen mit einer Engelsgeduld immer wieder, und wir haben sehr bald verstanden, dass es ein Vorteil ist, sich neben ihn zu setzen und nicht ihm gegenüber (dann kann man besser „abgucken“!). Nach einem Nachmittagskaffee proben wieder alle zusammen: Die Rückkehr in den Vierertakt verwirrt zunächst wieder Gehirn und Hände, und die Stücke werden vielschichtiger und komplizierter.
Am Schluss des Tages steht wieder eine Sing- und Tanzrunde, deren Bewegungs- und Schrittfolgen nach dem langen Dirigiertag einen echten Erholungswert haben, bevor wir uns – mit Gitarre und Stimme – wieder um das Lagerfeuer versammeln. An diesem Abend halten alle ziemlich lange durch, keiner mag so wirklich schlafen gehen. Irgendwann weit nach Mitternacht siegt aber dann doch die Vernunft.

Am Sonntagmorgen folgt auf die morgendlichen Einsing-Übungen ein Einblick in die Theorie der chorischen Stimmbildung, bevor wir in einer letzten Dirigierrunde zeigen können, was wir an diesem langen Wochenende gelernt haben. Verbesserungsvorschläge zum Seminar werden gerne entgegengenommen, aber wie soll man etwas verbessern, das eigentlich nicht besser zu machen ist?

Welches Fazit sich ziehen lässt? Nun, die chorsängerische Hochachtung vor jedem Dirigenten, der neben einem deutlichen Takt jeder Stimme (sogar noch ggf. Orchesterstimmen) verlässlich die Einsätze gibt, den Text mitspricht und Einsatz-Sonderwünsche immer einbaut, hat sich enorm gesteigert. Beim Kurs hatten wir alle einen Riesenspaß, und wir Teilnehmer ziehen vor unseren beiden geduldigen und immer gut gelaunten Kursleitern gerne mehrfach den Hut. Ein knappes halbes Jahr später kann ich sagen: Es hat sich auf jeden Fall gelohnt, denn inzwischen wage ich es, mich in der Probe vor meine Mit-Chorsänger zu stellen und im wöchentlichen Wechsel mit drei anderen Chorsängern das Einsingen zu gestalten!

Kurzbericht zum Kurs „Hilfe! Ich soll dirigieren“

„Hilfe! Ich soll dirigieren!“ lautete das Motto des lauen Sommer-Wochenendes vom 4. bis 7. Juli 2013 im Kloster von Ilbenstadt. Aus ganz Deutschland reisten die Teilnehmerinnen an, um sich von Gerhart Roth und Christoph Utz in Theorie und viel Praxis die Grundlagen des Dirigats beibringen zu lassen. Ob einstimmig oder mehrstimmig, im 4/4-Takt oder im manchmal verwirrenden 3/4-Takt - es wurde in jedem Fall viel gelernt, gesungen, dirigiert, getanzt, gespielt und natürlich gelacht. Nicht nur beim Singen der vielseitig ausgewählten Lieder stand der Spaß an erster Stelle. Auch mit lustigen Stimmbildungsübungen, bei denen man sich Tiernamen gab, Massagen bekam und sich einfach gerne selbst wieder wie ein Kind fühlte, oder mit afrikanischen Tänzen, Rhythmus- und Solmisations-Spielen, bei denen gute Koordination gefragt war, wurde stets viel Freude vermittelt.

Selbst abends am Lagerfeuer haben alle noch ausgelassen weiter gesungen. Im Ganzen war dies ein sehr gelungenes musikalisches Wochenende mit einer tollen Gruppe, sehr engagierten und humorvollen Kursleitern und einem regen Austausch auf vielen Gebieten der Musik. Vielen Dank an dieser Stelle für all die bereichernden und vielseitigen neuen Erfahrungen! Und wer noch nicht genug hat, kann sich zur Fortsetzung „Hilfe! Ich soll dirigieren! Teil 2“ im November anmelden! :-)

Frederike Schmitt (Hamburg)